Was die Umfragen in Frankreich wirklich aussagen.

Am 23. April wählen die Franzosen im ersten von voraussichtlich zwei Wahlgängen ihr neues Staatsoberhaupt. Die Umfragen sehen derzeit alles auf ein Duell zwischen dem liberalen Ex-Minister Emmanuel Macron und der rechtsextremen Europaabgeordneten Marine Le Pen hinaus laufen. Dies wäre ein in der fünften Republik Frankreichs einmaliger Ausgang, bei dem keine der traditionell großen Parteien des linken und rechten Flügels in der Stichwahl vertreten wäre. Ein Anlass, sich mit den Wahlumfragen und deren Entwicklung zu beschäftigen.

Wie ist der aktuelle Stand?

Zunächst einmal variieren sowohl die Institute, als auch deren Methoden der Befragung. Die jüngste Umfrage von Elabe, durchgeführt unter etwa 1000 Wahlberechtigten, sieht folgende Verteilung für den ersten Wahlgang:

  1. Emmanuel Macron – 25,5 %
  2. Marine Le Pen – 24 %
  3. François Fillon – 18%
  4. Jean-Luc Mélenchon – 15%
  5. Benoît Hamon – 10%

Im zweiten Wahlgang würde Macron Le Pen deutlicher (63% zu 37%) schlagen, als dies Fillon derzeit gelingen würde (54% zu 46%). Doch um diese Zahlen und deren Bedeutsamkeit besser zu verstehen, lohnt sich der Blick auf die längere Entwicklung.

Marine Le Pen hat die stabilste Wählerschaft

Seit François Fillon im November zum Kandidaten der Konservativen gekürt wurde, hat sich die Anzahl der Stimmen für Le Pen im ersten Wahlgang konstant zwischen 22 und 28 Prozentpunkten bewegt. Das mag zunächst wie eine große Schwankung klingen, allerdings gab es seit November nur eine Umfrage, die Le Pen nicht in der Stichwahl gesehen hat – Anfang Januar, bevor die Sozialisten ihren Kandidaten gekürt haben. Die aktuell 24 Prozentpunkte bedeuten zwar ein Monatstief für Le Pen, die auch mal bei mehr lag, allerdings deutet dies auf eine gewisse Konstanz hin, die in dieser Form kein anderer aussichtsreicher Kandidat besitzt. Le Pens Stärke ist derzeit, dass ihre Wähler nicht mehr schwanken und ihre Wahl bereits getroffen haben.

Das linke Lager ist auch stabil – aber gespalten

Das Zerbrechen der Parti Socialiste ist das Phänomen dieser Wahl, das seitens der deutschen Medien die geringste Aufmerksamkeit erfährt. Das mag einerseits am Interesse an Macron liegen, andererseits vor allem an Le Pen. Tatsächlich könnte man nun eine sehr instabile linke Wählerschaft vermuten, allerdings liegt das linke Potenzial bei einem erstaunlich konstanten Level. Als Hamon die Vorwahlen für sich entschied, lag er bei 17 Prozentpunkten, Mélenchon bei zehn und der gründe Jadot bei einem. Mit Jadot konnte Hamon eine gemeinsame Kandidatur vereinbaren, mit dem Altlinken Mélenchon, der die PS vor Jahren verlassen hat, nicht. Auch wenn dieser nun an Hamon vorbeigezogen ist, pendelt das Wählerpotenzial der Linken etwa zwischen 24 und 30 Prozentpunkten – hier befinden sich die Wähler, die ein linkes Programm wünschen. Da aber hier die persönliche Vorgeschichte der Kandidaten, sowie auch die Trennlinie zwischen euroskeptischen und proeuropäischen Linken eine Rolle spielt, verteilt sich das Potenzial auf zwei Kandidaten, die in der Stichwahl somit eher keine Rolle spielen werden.

Konkurrenz in der Mitte

Am Unsichersten sind sich die Wähler in der Mitte. Emmanuel Macron lag in einzelnen Umfragen im November bei 13 Prozentpunkten und sogar damals hinter Mélenchon – heute gilt er fast schon als sicherer Sieger. Er hat von allen Kandidaten das meiste Wählerpotenzial hinzugewinnen können, musste dazu aber auch in mehreren unterschiedlichen Lagern werben – Wähler der PS, denen der Wirtschaftskurs von Hamon zu links und unternehmensfeindlich ist, aber auch Wähler der Republikaner, die das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit Fillons verloren haben. Hinzu kommt der oftmals zitierte „Vote utile“, also die Entscheidung eines Wählers, der traditionell eher PS oder LR gewählt hat, eine Stimme für Macron abzugeben, da dieser im zweiten Wahlgang Le Pen sicher schlägt – was bei Fillon eben derzeit bezweifelt wird.

Für Macron ist eben diese Schwäche Fillons, ausgelöst durch die Vorwürfe gegen ihn und seine Frau Penelope, ein Auftriebsfaktor. Gleichzeitig sind damit Prognosen über die tatsächlich Anzahl der Stimmen bei Macron derzeit heikel, da seine Wählerschaft durchaus weniger festgelegt ist, als es bei Le Pen der Fall ist. Macrons stärkster Gegner bis zum 23. April ist deshalb nicht Le Pen, deren Wählerschaft er ohnehin nur schwer ansprechen kann, sondern Fillon. Unterläuft Macron ein Fehler bis Ende April, könnte sich die Dynamik der letzten Wochen umkehren.

Vorsicht bleibt geboten

Seit der US-Wahl 2016 und auch zuletzt bei der Landtagswahl im Saarland wurde oft die Frage nach der Genauigkeit von Umfragen aufgeworfen. Tatsächlich sind die meisten Umfragen vor Wahlen besser als ihr Ruf, allerdings ist gerade Frankreich ein gebranntes Kind, was Umfragen angeht: 2002 sahen die letzten Zahlen vor dem ersten Wahlgang den Sozialisten Lionel Jospin vier Prozentpunkte vor Jean-Marie Le Pen – am Wahlabend trennten beide weniger als 200.000 Stimmen und weniger als ein Prozent Unterschied – und der FN-Kandidat kam in die Stichwahl.

Fotos-Credits:

Jean-Luc Mélenchon: Foto: Par Jean-Luc Mélenchon avec Nicolas Hulot.jpg: http://www.melenchon.frDerivativework: Adzo.1 — →Cette image a été extraite d’un autre fichier : Jean-Luc Mélenchon avec Nicolas Hulot.jpg, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=46917698

Benoît Hamon: Foto: von Jackolan1 (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)%5D, via Wikimedia Commons

Emmanuel Macron: Foto: Par OFFICIAL LEWEB PHOTOS — LEWEB 2014 – CONFERENCE – LEWEB TRENDS – IN CONVERSATION WITH EMMANUEL MACRON (FRENCH MINISTER FOR ECONOMY INDUSTRY AND DIGITAL AFFAIRS) – PULLMAN STAGE, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48345540

François Fillon: Foto: Von Remi Jouan – Photo taken by Remi Jouan, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5405429

Marine Le Pen: Foto: Marie-Lan Nguyen — Travail personnel, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10229367

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